Die sogenannten Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe sind im Gesetz
geregelt (nur für den Profi: Notwehr und Nothilfe in § 32 StGB, der allgemeine
rechtfertigende Notstand in § 34 StGB, der Notwehrexzess in § 33 StGB, der
entschuldigenden Notstand in § 35 StGB, und dann gibt es noch einen
übergesetzlichen entschuldigenden Notstand).
Die Situation ist immer gleich: Man selbst hat den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht
(das hat nämlich nichts damit zu tun, ob man durfte): Wenn man jemanden schlägt, tritt, beißt, bespuckt usw., ist das eine Körperverletzung.
Weil man sich aber nicht alles gefallen lassen muss, ist "der Gegenangriff"
gerechtfertigt, oder entschuldigt, wenn man angegriffen wurde (Notwehrlage,
Notstandslage usw.).
Soweit ist die Situation allgemein bekannt. Bei einem gegenwärtigen
rechtswidrigen Angriff auf ein Rechtsgut oder ein rechtlich geschütztes Interesse
ist die Verteidigungshandlung gerechtfertigt. Man wird nicht bestraft, das darf
man.
Unsicherheit besteht nur darüber, was man unter der Erforderlichkeit der Verteidigungshandlung versteht.
Die Verteidigung muss geeignet sein, den Angriff sofort und endgültig zu
beenden. Sofort und endgültig heißt auch sofort und endgültig. Ein sogenanntes
mildestes Mittel gilt zwar für den Schusswaffeneinsatz, aber das soll uns hier nicht interessieren,
da an dieser Stelle von einer Selbstverteidigung ohne Schusswaffeneinsatz ausgegangen wird.
Was ich damit sagen will ist folgendes: Wenn man als "Normalmensch"
angegriffen wird, dann sollte man sich nicht auch noch Gedanken darüber
machen müssen, ob man der angreifenden Person weh tut. Diese hat angefangen! Man
sollte sich darauf konzentrieren, dass man diesen Angriff sofort und endgültig
beendet! Keine halben Sachen! Denn sonst ist man nicht schnell genug und nicht
endgültig genug.
Um es deutlich zu sagen:
Es gibt keine Güterabwägung zwischen dem angegriffenen Rechtsgut und der
Verletzung, die man auslöst. Eine Person die sich anschickt mich anzuspucken
(Körperverletzung) darf ich gerechtfertigt (ggf. KO) schlagen. Ich bin nicht gezwungen diese erst
zu schubsen oder anzuschnauzen. Der Angriff muss sofort und endgültig
beendet sein. Zu beurteilen objektiv aus der Sicht eines besonnenen Verteidigers
an meiner Stelle. Was hätte die/der an meiner Stelle (in einer Ausnahmesituation)
getan? Nicht im Nachhinein, quasi "allwissend". Dies ist wichtig, weil man oft
hinterher irgendwelche Sachen erfährt, die einen vorher anders hätten handeln
lassen können.
Die Grenzen dieser Verteidigung liegen einmal im Rechtsmissbrauch: "Die Person hat
mich so komisch angeguckt", ist kein richtiger Angriff (Bagatellangriff), auf den
ich mit den Fäusten reagiere. Ich darf den gegnerischen Angriff auch nicht
provozieren ("Du bist ja bloß zu feige, um mich anzuspucken."). Und
rechtsmissbräuchlich ist es auch bei einer engen persönlichen Beziehung. Die
möglichen Beispiele in einer Partnerschaft erspare ich mir.
Die zweite Grenze ist, dass ein Verteidigungswille existieren muss. Ich muss
mich tatsächlich verteidigen wollen. Wenn ich eigentlich nur jemanden verhauen will und der zufällig vorher auch ausgeholt hat,
dann bin ich dadurch nicht gerechtfertigt. Ich wollte mich ja dann nicht verteidigen, sondern angreifen.
Der Notstand (§ 34 StGB) muss uns hier nicht interessieren, denn der kommt in
Frage, wenn es keinen Angriff gibt, die Gefahr also z.B. von einer Sache ausgeht (das ist auch der "angreifende" Hund oder eine "Katze"). Aber darum geht es hier nicht.
Zu erwähnen sind aber noch die (nachgeschalteten) Entschuldigungsgründe, die
eine Verteidigung zwar nicht rechtfertigen, aber sie entschuldigen (weswegen
man dann aber auch nicht bestraft wird). Das kommt insbesondere in Betracht
(§ 33 StGB), wenn man die Grenzen einer Notwehrhandlung aus Verwirrung,
Furcht oder Schrecken überschreitet und ein innerer Zusammenhang zwischen
dem Affekt unter Notwehrüberschreitung besteht. Das Prinzip ist, dass ich in
einer außergewöhnlichen Situation bin, die mich komplett überfordert. Dann
kann ich auch "über das Ziel hinausschießen" und mich "zu viel" verteidigen.
Das macht es aber nicht strafbar, wenn es gerade diese Situation ist, die mir
solche Höllenangst einjagt
Soweit soll der theoretische Hintergrund genügen. Ich muss mir nichts gefallen
lassen und ich muss keine Überlegungen anstellen, was ich jetzt noch darf oder nicht.
Den Angriff des Gegners beende ich: sofort und endgültig! Man nennt es nicht
umsonst das "John-Wayne-Prinzip" des deutschen Strafrechts.
Viel Erfolg und viel Beherztheit
Alexander Alte